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Machtstrukturen in Europa

Die Mafia auf Sizilien

Jedes Staatswesen, jede Völkergemeinschaft unterliegt Machtstrukturen, die das Zusammenleben der Menschen innerhalb dieser Gemeinschaft organisieren und sicherstellen sollen. Das Zusammenleben der Menschen innerhalb einer Gemeinschaft ist dabei stets von polarisierenden Interessen beherrscht. Der Einzelne möchte größtmogliche Freiheit für sein Tun, aber er will auch Sicherheit vor Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeiten. Um einen Ausgleich der Interessen zu erreichen gibt es ganz unterschiedliche Systeme für Machtstrukturen, die sich in der Geschichte immer wieder geändert und wiederholt haben. Mal wurde es besser, mal wurde es schlechter. Im Absolutismus, also in der absoluten Monarchie, lag die Macht absolutistisch beim König. In der Demokratie liegt die Macht beim Volk. Dazwischen gibt es viele Spielarten, wie etwa die Oligarchie, bei der die Macht weder von einer einzelnen Person noch vom Volke, sondern von einer Gruppe von Personen ausgeht, die sich über die Macht abstimmen und diese teilen.

Machtstrukturen der Oligarchen

Diese Machtstrukturen der Oligarchen finden in der Regel außerhalb der verfassungsrechtlichen Systeme eines Volkes statt und sind schwer kontrollierbar. Meist verfügen die Oligarchen über hohe wirtschaftliche Macht, die sie erworben haben, nachdem sie als Marktführer in einen wirtschaftlichen Metatrend investiert haben. So gehen oligarchische Machtstrukturen in Amerika vor allem auf das Öl zurück, wie sie etwa zum Aufstieg der Rockefeller geführt haben. In Deutschland war es die Stahlproduktion, die durch den ersten Weltkrieg einen enormen Aufschwung erlebte und zu sehr hoher wirtschaftlicher Macht etwa von Thyssen und Krupp geführt haben. In Griechenland sind es Reedereiinhaber und nicht zuletzt vermittelte die Finanzierung von Staaten, Unternehmen und anderen Personen eine sehr hohe Machtfülle, wie etwa früher durch die Fugger.

Einflussreiche Personen verfügen nicht nur über starke Machtpotenziale unterhalb der verfassungsrechtlichen Strukturen, sondern haben auch die Tendenz, diese Machtpotenziale auszubauen und damit Machtpotenziale dem Staat oder anderen mächtigen Organisationen im Sinne eines Verdrängungswettbewerbes zu entziehen. Dabei wird nicht nur die wirtschaftliche Macht eingesetzt, um etwa vom Volk gewählte Personen auf die eigene Linie zu bringen, sondern es werden auch Mittel der Gewalt, Unterdrückung bis hin zu Mord verwendet. Um die Straffreiheit zu erreichen, werden dann oftmals die Vertreter der Strafverfolgungsbehörden ebenso auf Linie gebracht. Diese Machtstrukturen haben in der Regel die Ziele, die Macht der Gruppe nach innen zusammenzuhalten und nach außen hin zu verteidigen und auszubauen. Nach innen hin sind die Führungsstrukturen in der Regel hierarchisch und vielfach auf eine Person konzentriert, die ähnlich einem absolutistischen König über eine große Machtfülle verfügt, Mitglieder der Gemeinschaft auf gemeinsame Linie zu bringen oder diese zu eleminieren, sollte dies nicht möglich sein.

Macht sucht Macht, mehr Macht erzeugt noch mehr Macht

Wenn die Machtstrukturen eine gewisse Fülle und Handlungsfähigkeit erreicht haben sind vielfach auch andersartige Machtstrukturen gewillt, diese zu eigenen Zwecken einzusetzen. Gerade Despoten werden versucht sein, solche Machtstrukturen für eigene Ziele zu nutzen. So wurden etwa die in der Stahlproduktion tätigen Familien in Deutschland gerade zu Zeiten des 1. Weltkriegs und des Nationalsozilalismus von den politischen Führungsstrukturen stark umworben und damit noch weiter gestärkt.

Wie sich solche Machtstrukturen bilden, sich verändern, bekämpft und zerschlagen werden, um dann wieder aufzuerstehen, zeigt die Geschichte der Mafia auf Sizilien. Entstanden ist die Mafia vor allem in Sizilien aus der besonderen Situation auf dieser Insel. Durch die besondere Lage der Insel zwischen den Zentren der Araber, der Griechen und der Kontinentaleuropäer erlebte die Insel immer wieder starke von außen kommende Machtstrukturen, die das Land und die Bevölkerung jeweils anderen Interessen unterordneten. Diese Machtstrukturen waren nicht dauerhaft sondern starken Veränderungen unterworfen. Insbesondere die Familien entsannen sich vor diesem Hintergrund auf ihre familiären Strukturen und bildeten starke Familienbanden. Es galt das Prinzip "alle für einen" und "einer für alle". Das bedeutet, dass von jedem einzelnen Mitglied absolute Loyalität, Ergebenheit und Kampfesmut für die Interessen der Familie erwartet wurde, aber auch jeder Einzelne in Not die Unterstützung und Hilfe der Familie erwarten konnte. Durch den arabischen Einfluss gehörte auch die Blutrache dazu. Wurde ein Mitglied einer Gemeinschaft getötet, so war zur Vergeltung auch ein Mitglied des Täters zu töten. Schon im Alten Testament war das mit "Auge um Auge" und "Zahn um Zahn" beschrieben. So wird der Begriff Mafia vielfach aus dem Arabischen und dem Sizilianischen für "Höhle", "Beschütztheit" und "selbstsicher und mutig" abgeleitet. Daraus folgte der Begriff der "ehrenwerten Gesellschaft", weil die Familienehre einen sehr hohen Stellenwert besitzt.

Mafia als organisierte Kriminalität

Macht hat eine überschießende Tendenz. Macht erzeugt mehr Macht und mehr Macht erzeugt noch mehr Macht. Die Grenze zur verbrecherischen Handelung ist dann schnell überschritten. Die Entwicklung der Mafia zeigte diese verbrecherischen Strukturen, weshalb heute der Begriff Mafia eher als verbrecherische Organisation, als organisierte Kriminalität verstanden wird, die mit Mitteln der Erpressung und des Mordes ihre wirtschaftliche und politische Macht ausbaut und die im Bereich der Schutzgelderpressung, des Drogen- und Waffenhandels tätig ist.

Mafiose Strukturen haben sich in vielen Regionen gebildet, nicht nur in Italien, sondern auch in Russland, China und in Afrika. Typisch waren aber die mafiosen Strukturen für Italien und wegen der besonderen Geschichte im Süden Italiens, in Neapel, Apulien, Kalabrien und vor allem auf Sizilien. Palermo galt dabei lange als Zentrum der Mafia. Die Mafia teilte ein, wer wo seinen Stand auf dem Markt hat und wieviel er dafür als Pizzo zu bezahlen hat. So wird das Schutzgeld genannt. Sie boten durch die Schutzgeldzahlung auch Schutz, wobei jedem klar war, dass dies der Schutz vor der Mafia selbst ist, weil diese im Falle der Verweigerung der Schutzgeldzahlungen Gewalt anwendete, wie insbesondere durch Zerstörung der Einrichtungen, die für den Gelderwerb notwendig waren. Die Händler hatten hier eine zweiteilige Einstellung zur Mafia. Einerseits waren sie Arbeitgeber, andererseits waren sie tatsächlich in der Lage, die Händler etwa vor Behördenwillkür zu schützen. Denn letztlich hatte die Mafia engen Kontakt zu den Führenden in den Behörden, die dann das korrigierten, was seitens der Mafia nicht gewünscht war.

Aber das alles änderte sich, als die Mafia immer stärker Schutzgelder erpresste und sich immer mehr Menschen weigerten, diese zu zahlen. Auch die Behörden und die Polizei verfolgte die Mafia und die Strukturen, wonach die Mafia einen erheblichen Einfluss auf die Politik und die Besetzung politischer Ämter nahm, zerbröckelten. Spätestens da wurde die Mafia nur noch als verbrecherische Organisation erkannt.

Es kam seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem sind ständig steigernden Kampf des Staates gegen die Mafia. Im Vorort von Palermo, Ciaculli, wurden am 30. Juni 1963 sieben Polizisten und Soldaten der Carabinieri und des italienischen Heeres in einen Hinterhalt gelockt und durch eine Autobombe getötet. Ziel der Bombe war Salvatore „Ciaschiteddu“ Greco, dem Vorsitzenden der ersten sizilianischen Mafia-Kommission und dem Oberhaupt der einflussreichen Mafia-Familie von Ciaculli. Der Anschlag soll von dem Mafiaboss Pietro Torretta in Auftrag gegeben worden sein. Man kann sagen, dass zwischen Staat und der Mafia Krieg herrschte. Diese Zeit wurde so auch als der erste Mafiakrieg bezeichnet. Über Jahre hinweg wurden Staatsanwälte, Richter, Politiker, Journalisten und auch unbeteiligte Zivilisten umgebracht. So ermorderte die Cosa Nostra 1979 Cesare Terranova, einen hochrangigen Mafiajäger. In 1982 wurde der Anti-Mafia-Politiker Pio La Torre und der Polizeipräfekt von Palermon, Alberto Dallia Chiesa, 1983 der Generalstaatsanwalt Rocco Cinniti und 1986 Antonio Cassarà, der engste Mitarbeiter de größten Mafia-Jägers Giovanni Falcone ermordet.

„Boss der Bosse“ Salvatore „Totò“ Riina

Aber nicht nur der Staat kämpfte gegen die Mafia. Auch die einzelnen Mafia-Organisationen bekämpften sich gegenseitig mit dem Ziel, die Vorherrschaft zu erlangen. Anfang der 1980er Jahre kam es in Palermo zum sogenannten zweiten Mafiakrieg mit mehr als 1000 Toten. Hier errangen die Corleoneser und die anderen mit ihnen verbündeten Familien die absolute Vorherrschaft. Angeführt wurde der Mafiakrieg vom „Boss der Bosse“ Salvatore „Totò“ Riina. Ende 1982 ließ er den palermitanischen Boss Rosario Riccobono und über 20 seiner Männer an einem einzigen Tag ermorden.

Riina soll für etwa 100 weitere Morde verantwortlich sein, von denen er mehrere Dutzend persönlich begangen haben soll. Bereits mit 19 Jahren beging er seinen ersten Mord. Salvatore „Totò“ Riina, wurde wegen seiner geringen Körpergröße von 1,58 m als "der Kurze", auf sizilianisch "u curtu", aber auch als "die Bestie" genannt. Riina ist heute 85 Jahre alt und sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis ein.

Giovanni Falcone

Zu dieser Zeit des zweiten Mafiakrieges wurde der Untersuchungsrichter Giovanni Falcone zur Symbolfigur des Kampfes gegen die Mafia. 1984 gelang es ihm, dass Tommaso Buscetta, ein oberster Mafiosi, das Gebot der Omertà brach und sich als Kronzeuge zur Verfügung stellte. Die Omertà war das Gebot, dass kein Mafiosi seine Informationen zum Schutz der anderen Mitglieder der Mafia preisgiebt und schweigt und lieber hohe Nachteile in Kauf nimmt. Jeder wusste, dass er auf der Abschussliste stehen würde, wenn er das Gebot des Schweigens brechen würde. Die Informationen durch Tommaso Buscettta führten zur Inhaftierung vieler Mafiosi.

Zwei Jahre später leitete Falcone dann einen Massenprozess gegen 400 Mafiosi, den so genannten Maxi-Prozess in Palermo. Nach 349 Verhandlungstagen wurden 360 Mafiosi zu meist langjährigen Haftstrafen verurteilt. Falcone schwächte so die "piovra", den Kraken Cosa Nostra, ganz erheblich. Falcone war sich dessen und der Gefahr für ihn bewusst. Oft sagte er: Palermo "Ich weiß, dass meine Schuld gegenüber der Cosa Nostra nur mit meinem Tod abgegolten werden kann"

Falcone war einer der am besten geschützten Personen in Sizilien. Mehrere gepanzerte Wagen und auch ein Hubschrauber folgten ihm und gaben ihm Geleitschutz. 1989 konnten seine Leibwächter eine Bombe bei seinem Ferienhaus entdecken und entschärfen. Am 23.05.1992 jedoch wurde dann Falcone tatsächlich auf dem Weg zu seinem Wochenendhaus auf der Autobahn bei Carpaci in der Nähe von Palermo durch eine Bombe mit 500 kg TNT ermordet, die im Abflussrohr unter der Autobahn deponiert war. Augenzeugen berichteten: "Das war, wie wenn der Ätna explodiert wäre". Ebenso fanden dabei seine Ehefrau und drei Leibwächter den Tod.

Das Attentat wurde von von Salvatore „Totò“ Riina Mafia in Auftrag gegeben. Er konnte nur ein Jahr nach dem Attentat, nämlich am 15.01.1993 verhaftet werden. Er wurde zu Palermo zehnmal lebenslänglich verurteilt.

Paolo Borsellino

Eine weitere Symbolfigung zu dieser Zeit war Paolo Borsellino. Auch dieser war Richter und Mafiajäger und arbeitete mit Giovanni Falcone zusammen. Nur 57 Tage nach der Ermordung seines Kollegen Falcone wurde auch er durch eine Autobombe getötet, nämlich am 19.07.1992.

Die Ermordung von Falcone und Borsellino hatte zur Folge, dass sich die Bevölkerung immer mehr gegen die Mafia stellte. Zuvor wurde die Cosa Nostra als Gebilde erlebt, das man weder gut noch schlecht fand und mit dem man leben müsse. Jetzt offenbarte sich dieses Gebilde aber als verbrecherische Organisation. Es kam zu einer breiten Anti-Mafia-Bewegung. Große Malereien an den Wänden von alten und sanierungsbedürftigen Häusern in Palermo zeigen diese Krake und sind eine Form des künstlerischen Protestes.

Zu Ehren dieser Anti-Mafia-Kämpfer erhielt der Flughafen von Palermo den Namen Falkone Borsellino.

Fabio Conticello - ein Wirt in Palermo weigert sich zur Schutzgeldzahlung

Fabio Conticello ist erst vor wenigen Jahren als Held von Palermo und als Wirt des Restaurants Antica im Zentrum von Palermo in die Geschichte des Kampfes gegen die Mafia Palermo eingegangen. Die Mafia versuchte, ihn mit hohen Schutzgeldzahlungen zu erpressen. Er blieb standhaft und mit Hilfe der Polizei war es ihm möglich, unbeschadet die Zahlung der Pizzo zu vermeiden. Die maßgeblichen Personen bei der Mafia wurden überführt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Mittlerweile gibt es eine Organisation in Palermo, die addiopizzo, die alle von Schutzgelderpressungen bedrohten Personen hilft. An den Geschäften klebt dann am Eingang neben den Aufklebern, mit welchen Palermo Kreditkarten man hier bezahlen kann, der Aufkleber "addiopizzo". Damit weiß jeder Mafia-Handlanger, dass er es hier nicht leicht haben wird, wenn er Schutzgeld erpressen möchte.

Leoluca Orlando - Anti-Mafia-Bürgermeister von Palermo

Leoluca Orlando war in der heißen Mafia-Phase Bürgermeister von Palermo und entschiedener Gegner der Cosa Nostra, nämlich (mit kurzer Unterbrechung) von 1985 bis 2000, ferner war er Abgeordneter des sizilianischen, italienischen und europäischen Parlamentes. Zwischen Falcone und Orlando gab es immer wieder Differenzen zur den Fragen, wie mit der Mafia umzugehen ist. Orlando wurde durch seinen Kampf gegen die Mafia international bekannt. Er ist 2012 wieder und zwar zum vierten Mal zum Bürgermeister von Palermo gewählt worden und lebt unter permanentem Personenschutz.

Die Mafia kehrt zurück

Mittlerweile erschüttert ein Skandal die Anti-Mafia-Bewegung. Der 79 Jahre alte Kämpfer gegen die Mafia, Roberte Helg, der ehemaliger Präsident der Handelskammer von Palermo war und dann Viziepräsident einer Gesellschaft wurde, die Ladenkonzessionen vergibt, wurde 2015 auf frischer Tat ertappt, als er einen Scheck über 70.000 Euro eines Ladenbesitzers entgegennahm. Er hatte den Konditor erpresst, der seinen Mietvertrag verlängern wollte.

28.12.2016, Günter Seefelder